Newsletter
Hier finden Sie die gekürzten Texte aus unserem Newsletter in gesamter Länge.
Ambulant betreute Wohngemeinschaften als Kleinstheime? – RA Prof. Dr. Thomas Klie
Kommentar zum VG Karlsruhe vom 12.04.2024
Ambulant betreute Wohngemeinschaften sind häufig „gefaked“. Die Wahlfreiheit steht auf dem Papier, dominant ist gegebenenfalls ein ambulanter Pflegedienst, der sowohl Pflege- als auch Assistenzleistungen sowie die Präsenzkräfte stellt. Ambulant betreute Wohngemeinschaften sind und werden zum Geschäftsmodell, auch wenn die leistungsrechtliche Privilegierung des § 43 c SGB XI, die eine Deckelung des Eigenanteils für vollstationäre Pflegeeinrichtungen vorsieht, auf ambulant betreute Wohngemeinschaften keine Anwendung findet. Anbietergestützte Wohngemeinschaften, mit einem rein förmlich bestehenden Wahlrecht hinsichtlich des Pflegedienstes, bilden bundesweit die absolute Mehrheit von Wohngemeinschaften. Und ganz häufig handelt es sich bei ambulant betreuten Wohngemeinschaften beim genauen Hinsehen um Kleinstheime. Die müssen nicht schlecht sein. Sie können auch ihren Beitrag zur wohnortnahen Versorgung leisten. Sie wird man gegebenenfalls auch einer Weiterentwicklung des Leistungsrechts der Pflegeversicherung im Zuge von „stambulant“-Vorstößen von Karl Lauterbach, mit zu berücksichtigen haben. Aber mit der zivilgesellschaftlichen Innovationsfigur ambulant betreuter Wohngemeinschaften haben sie wenig zu tun.
Das VG Karlsruhe legt zu Recht den Finger in die Wunde: Faktisch keine Wahloption, was den Pflegedienst anbelangt. Hier wird die Wahl rein formal und dann noch kollektiv vollzogen. Das entspricht in der Tat nicht den Vorgaben des WTPG, das eben einzelnen Bewohnern die Möglichkeit der Auswahl eines Pflegedienstes einräumt – auch wenn dies mit der „betrieblichen“ Wirklichkeit in ambulant betreuten Wohngemeinschaften wenig gemein hat. Es gibt Wohngemeinschaften mit mehreren Pflegediensten. Es gibt auch Bewohner, die einen besonderen medizinisch- pflegerischen Unterstützungsbedarf aufweisen – etwa Schmerzpatienten, Patienten mit Trachealkanülen. Sie bilden aber die Ausnahme in den doch zumeist von Menschen mit Demenz genutzten ambulant betreuten WGs.
Ebenfalls zu Recht arbeitet das Verwaltungsgericht Karlsruhe heraus, dass die Präsenzkräfte nicht einfach in den Dienstplan integriert und wie alle anderen Pflege- und Betreuungskräfte eingeplant werden dürfen. Wenn Präsenzkräfte die Funktionen gemäß § 38 a SGB XI übernehmen, handelt es dabei um andere als die typischen Aufgaben von Präsenzkräften, Alltagsbegleiter*innen oder Assistenzkräften. Wir bezeichnen sie gerne als Wohngruppenmanagerinnen. Das Bundessozialgericht hat jüngst entschieden, dass auch Angehörige als Wohngruppenmanager eingesetzt und gewählt werden können. Sie müssen gewählt werden, auch dies unterstreicht die Eigenständigkeit und Selbstverantwortung der Wohngemeinschaft. In den von der LABEWO empfohlenen Verträgen zu ambulant betreuten Wohngemeinschaften wird dem Wohngruppen-management eine eigene Vertragsklausel mit klarer Aufgabenbeschreibung zugeordnet. Sie kann entweder in einem Assistenzvertrag platziert werden oder aber, so die Aufgaben des Wohngruppenmanagements anderweitig vergeben werden, auch in einem gesonderten Vertrag geregelt werden, etwa wenn die Aufgabe für mehrere Wohngemeinschaften in einer Kommune von einer Sozialarbeiterin etwa wahrgenommen wird. Zu pragmatisch ordnen manche „Träger“ von ambulant betreuten Wohngemeinschaften den Präsenzkräften Aufgaben nach § 38 a SGB XI zu. Das gilt auch für den Umgang mit dem Wohngruppenzuschlag um. Sie werden schlicht in das gesamte Personalportfolio mit integriert. Das „Wohngruppenmanagement“ ist wichtig, um die Architektur der Selbstverantwortung von ambulant betreuten Wohngemeinschaften zu erhalten respektive zu befördern. Diesen Aspekt hat weder die Heimaufsicht noch das VG Karlsruhe als solchen herausgearbeitet. Man konzentriert sich auf die Fragen von Tätigkeiten und ihrer Zuordnung. Das greift zu kurz. Auch ist der Blick des VG Karlsruhe auf die alltägliche Wirklichkeit von ambulant betreuten Wohngemeinschaften nicht wirklich realitätsnah: In den alltäglichen Vollzügen der pflegerischen Assistenz und hauswirtschaftlichen Unterstützung, lassen sich die bewohnerbezogenen Aufgaben nicht tätigkeitsbezogen gegeneinander abgrenzen. Selbstverständlich wird auch eine Präsenzkraft einmal eine Bewohnerin zur Toilette bringen. Selbstverständlich kann bei der hauswirtschaftlichen Tätigkeit und der gemeinsamen Mahlzeiteneinnahme auch die Medikamentengabe mit übernommen werden, wenn dies denn von einer verantwortlichen Pflegefachkraft verantwortet wird. Angesichts des Fachkräftemangels wird man sehr viel stärker auf das berufsrechtliche Konzept der Vorbehaltsaufgaben abheben müssen: Pflegepersonen übernehmen die Verantwortung für die Gestaltung des Pflegeprozesses. Sie allein – keine Heimaufsicht, keine Pflegekasse – entscheiden, welche Aufgaben delegationsfähig sind, von Assistenzkräften, gegebenenfalls auch von Angehörigen wahrgenommen werden können. Das gilt auch für behandlungspflegerische Aufgaben. Was nur nicht passieren darf, ist dass die mit dem Wohngruppenzuschlag finanzierte Funktion des Wohngruppenmanagements dadurch in Frage gestellt wird.
Schließlich hebt das Verwaltungsgericht Karlsruhe zu Recht auch auf die Bedeutung eines Bewohnergremiums ab, das zwar nicht zwingend vorgeschrieben, aber doch erwartet wird. Das Bewohnergremiums ist zumeist ein Gremium von An- und Zugehörigen, von rechtlichen Vertreterinnen und Bevollmächtigten. Davon auszugehen, dass Selbstbestimmung nur dann möglich ist, wenn die jeweiligen Bewohnerinnen und Bewohner selbst und ohne Unterstützung die Entscheidung treffen, offenbart ein problematisches Verständnis von Selbstbestimmung. Wir sprechen gerade palliativ care von der relationalen Autonomie. Die Autonomiefähigkeit eines Subjektes hängt im Wesentlichen davon ab, dass sie durch andere befähigt wird, Entscheidungen zu treffen oder sie zu akzeptieren. Bewohnerinnen und Bewohner von Wohngemeinschaften brauchen Advokaturen, brauchen individuell und kollektiv der Unterstützung von Personen, die sich für ihre Autonomie im Sinne ihrer Präferenzen, ihrer Wünsche einsetzen. Das muss gewährleistet werden, das zeichnet ambulant betreute Wohngemeinschaften aus. Insofern sind die Gremien wichtig. Aber auch sie dürfen nicht nur auf dem Papier stehen, nicht wie in dem Verfahren zu einem Preis degradiert werden, der nur noch die Entscheidung des Trägers einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft abnickt.
Man wird auch heimrechtlich über eine Weiterentwicklung des WTPG bezogen auf die ambulant betreuten Wohngemeinschaften nachdenken respektive tut dies schon länger. Manche Klarstellungen und Präzisierungen wären ebenso wünschenswert, wie die Anpassungen an die Versorgungswirklichkeit. Und mindestens so wichtig: Es braucht Unterstützungsstrukturen für selbstverantwortete ambulant betreute Wohngemeinschaften. Auch solche Entscheidungen wie des VG Karlsruhe oder die langwierigen Auseinandersetzungen über Sozialhilfeleistungen in Wohngemein- schaften, schrecken Bürgerinnen und Bürger eher ab, die an sich präferierten Wohngemeinschaften zu ihrer Sache zu machen. Gefragt ist auch der Bundesgesetzgeber. Herr Lauterbach hat mit „stambulant“ ein missverständliches Signal gesetzt. Es geht nicht allein um das Konzept „Benevit“, es geht insgesamt um neue Wohn- und Pflegeformen, die mit dem Pflegekompetenzgesetz leistungsrechtlich unterstützt werden sollen. Hier wird man zum einen die Regelung des § 38 a SGB XI weiter zu schärfen haben. Auch gilt es den Wohngruppenzuschlag anzuheben. Heimrecht und Sozialleistungsrecht müssen sich stärker aufeinander beziehen. So wäre es für eine Heimaufsichtsbehörde auch einfacher, wenn sie sich an die Entscheidung einer Pflegekasse halten könnte, die den Wohngruppenzuschlag gewährt aber auch gegebenenfalls mit überprüft, ob der Wohngruppenzuschlag im Sinne eines Wohngruppenmanagements genutzt wird oder eben nicht.
Und schließlich: Ambulant betreute Wohngemeinschaften, nicht selten von Bauträgern mit unterstützt, werden häufig allzu pragmatisch geplant. Das Beispiel des VG Karlsruhe zeigt: Wenn einmal eine Wohngemeinschaft in dem Geist eines Kleinstheimes ihren Betrieb aufgenommen hat, lässt sich aus ihr nicht eine den Vorgaben des WTPG entsprechende Wohngemeinschaft basteln. Insofern kommt dem Gründungsprozess eine maßgebliche Bedeutung zu.
Wohngemeinschaften vor dem Scheideweg – LABEWO im Gespräch mit dem Sozialministerium Baden-Württemberg
Im Juni trafen sich Gabriele Beck, Lucia Eitenbichler, Franz Josef Winterhalter und Clemens Wochner-Luikh vom LABEWO-Vorstand mit Dr. Angela Postel, der Leiterin des Referates Pflege im Sozialministerium und ihren Kolleginnen Anna Mäurer und Silke Fecht. Anlass für das Gespräch waren die immer noch unbefriedigenden Rahmenbedingungen für ambulant betreute Wohngemeinschaften auf Bundes- und Landesebene. Hier eine kurze Zusammenfassung eines anregenden und konstruktiven Gespräches.
Wir waren uns einig, dass ambulant betreute Wohngemeinschaften ein wichtiger und notwendiger Baustein in einer vielfältigen Versorgungsstruktur sind, die sich an den Wünschen und Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger ausrichtet und ihnen in einem höheren Maß Selbstbestimmung ermöglicht als andere Versorgungsformen. Einigkeit bestand auch in der Einschätzung, dass ambulant betreute Wohngemeinschaften gerade beim Aufbau von „sorgenden Gemeinschaften“ ein wichtiger Innovationsbaustein sind, deren Zukunft allerdings durch die aktuellen gesetzlichen Regelungen sowohl im Hinblick auf ihre Finanzierung als auch die Sozialhilfefähigkeit, gefährdet sind. Die letzten Reformen der Pflegeversicherung haben die Ungerechtigkeiten zwischen der vollstationären Pflege und der von der Bürgerschaft mitverantworteten Pflege-Wohngemeinschaften noch vergrößert. Eine Reform der Pflegeversicherung muss dieser Entwicklung Rechnung tragen und die Startbedingungen angleichen. Frau Dr. Postel informierte uns, dass sich das Sozialministerium Baden-Württemberg auf Bundesebene in einer Arbeitsgruppe zum geplanten Pflegekompetenzgesetz für verbesserte Regelungen für Wohngemeinschaften engagiert. In Bezug auf sozialhilferechtliche Klarstellungen stehen die Länder noch im Austausch mit dem BMAS und wollen eine Klarstellung seitens des BMAS erreichen, was die rechtlichen Rahmenbedingungen der Sozialhilfe in ambulant betreuten Wohngemeinschaften anbelangt, die dann auch den Sozialhilfeträgern als Auslegungshilfe dienen kann. Parallel dazu steht das Ministerium mit der kommunalen Seite in Kontakt bezüglich einer Konkretisierung der Sozialhilferichtlinien.
Unserem Anliegen, dass die baulichen Anforderungen an Wohngemeinschaften – insbesondere bei der Bäderfrage – dereguliert und starre Vorschriften flexibilisiert werden sollten, brachte Frau Dr. Postel Verständnis entgegen. Sie will sich für Erleichterungen einsetzen. Vor allem bei einem Wechsel einer vollständig selbstverantworteten hin zu einer anbieterverantworteten Wohngemeinschaft ist es nötig, dass die Regelung der Bäder nicht zu einem Hemmschuh wird, weil für anbieterverantwortete Wohngemeinschaften derzeit strengere Vorgaben gelten. Auch hierin waren wir uns einig. Das Ministerium sagte zu, uns auf dem Laufenden zu halten. Unseren Wunsch, auf Landesseite zu prüfen, welche Möglichkeiten es bei der Finanzierung von Qualifizierungsangeboten für die Alltagsassistenz gibt, griff sie auf und sagte zu, diesen an das zuständige Fachreferat heranzutragen. Wir konnten den Eindruck mitnehmen, dass sich das Ministerium auch auf Bundesebene mit Engagement für verbesserte finanzielle Rahmenbedingungen bei ambulant betreuten Wohngemeinschaften einsetzt. Frau Dr. Postel unterstrich, dass sie die Initiativen und die Expertise der LABEWO schätzt und sich eine weitere, gute Zusammenarbeit mit der LABEWO wünscht. Wir bleiben also im Gespräch.